Freie Mitarbeiter in Physiotherapiepraxen – die aktuelle Situation

Aus gegebenem Anlass veröffentlicht der IFK hier vorab einen Artikel aus dem nächsten physiotherapie Magazin (4/14) zum Thema freie Mitarbeiter in Physiotherapiepraxen.

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) geht bei der Anerkennung der Selbstständigkeit von Physiotherapeuten, die ihre Leistungen in einer fremden, zugelassenen Praxis erbringen, zunehmend restriktiver vor. Nach Einschätzung der IFK-Rechtsberatung wird von der DRV Bund sowohl im Rahmen von Statusfeststellungsverfahren als auch bei Betriebsprüfungen immer häufiger die selbstständige Tätigkeit von freien Mitarbeitern in Frage gestellt und immer öfter ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis unterstellt.

Die wesentlichen Gründe, die zum Vorwurf der Scheinselbstständigkeit führen, sind überwiegend die fehlende eigene Praxis, das fehlende Unternehmerrisiko und die Ausführung gleicher Arbeiten sowie die Einbindung in den Praxisbetrieb wie angestellte Therapeuten. Als Folge dieser Feststellungen droht ein Beitragsbescheid, indem die Praxisinhaber aufgefordert werden, für die betroffenen Mitarbeiter die nicht verjährten Sozialversicherungsbeiträge für maximal fünf Jahre, sowie Säumniszinsen in nicht unerheblichem Umfang nachzuzahlen. Aktuell sorgt nun zusätzlich ein Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts (LSG Bayern) (AZ: L 5 R 1180/13 B ER) und die damit verbundene Presseberichterstattung für große Verunsicherung bei Praxisinhabern, die mit freien Mitarbeitern zusammenarbeiten.

Der Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts

Die DRV Bund hatte bei einer Betriebsprüfung einer kassenzugelassenen Physiotherapie-Praxis zwei dort als freie Mitarbeiter beschäftigte Physiotherapeuten als Scheinselbstständige eingestuft und forderte daher die Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 46383,50 Euro.

Das LSG Bayern bestätigte in seinem Beschluss nicht nur die Auffassung der DRV Bund, sondern ging in seiner Begründung sogar noch weiter. Die bayrischen Richter vertraten die Ansicht, dass Physiotherapeuten, die in fremden Praxen arbeiten, abhängige Beschäftigte seien. Ein wesentlicher Grund war, dass das wirtschaftliche Risiko allein bei den Praxisinhabern liege. Therapieart und -dauer seien zudem im Rahmen der jeweiligen ärztlichen Verordnung so vorgegeben, dass alle mitarbeitenden Therapeuten die gesetzlich versicherte Patienten in den Praxisräumen behandeln, zwangsläufig in den täglichen Praxisplan nach Weisung der Praxisinhaber eingebunden sein müssen. Diese Ansicht überrascht schon deswegen, weil die freien Mitarbeiter einen Gründungszuschuss von der Arbeitsagentur erhalten hatten und von der Rentenversicherung als pflichtversicherte Selbstständige eingestuft worden waren. Außerdem war weder die eigene Berufshaftpflichtversicherung, die umsatzabhängige prozentuale Vergütung, der fehlende Anspruch auf Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall noch die Tätigkeit für andere Praxen und die Nutzung eigener Arbeitsmaterialien ein Argument für die Richter, von ihrer Auffassung abzuweichen.

Was bedeutet diese Entscheidung für die Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern?

Die bereits bestehende Unsicherheit, verbunden mit dem Risiko beträchtlicher Sozialversicherungsbeiträge, wird weiter verfestigt. Der IFK rät bereits seit Jahren dazu, die Zusammenarbeit mit freien Mitarbeitern von Anfang an durch das sog. „Statusfeststellungsverfahren" nach § 7 a SGB IV bei der DRV Bund rechtsverbindlich abzusichern. Die Anforderungen, die das LSG Bayern nun an die Anerkennung der Selbstständigkeit eines Mitarbeiters in einer Physiotherapie-Praxis mit Kassenzulassung stellt, engen den Spielraum für die risikofreie Zusammenarbeit mit einem freien Mitarbeiter in der Tat noch weiter ein.

Dennoch: Es handelt sich bei dieser Entscheidung um eine Einzelfallentscheidung, die schon deshalb irritiert, weil sie die ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in wesentlichen Punkten völlig unberücksichtigt lässt.

Und ganz wichtig: Es gibt nach wie vor Gerichte, die den Gestaltungsspielraum für die Zusammenarbeit mit einem freien Mitarbeiter weitaus weniger einengen und sich – im Gegensatz zu den bayerischen Richtern – an der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BSG (AZ: 12 RK 64/87) orientieren. Dieses hatte schon 1989 festgestellt, dass die Tatsache, dass ein Therapeut nicht selbst mit den Kostenträgern abrechnet bzw. aufgrund der fehlenden Zulassung nicht dazu berechtigt ist, eine freie Mitarbeit in einer kassenzugelassenen Praxis dennoch nicht ausschließt. Es komme für die Entscheidung über die Statusfrage allein auf das schriftlich vereinbarte Vertragsverhältnis und dessen tatsächlicher Umsetzung bei der Zusammenarbeit im Praxisalltag an. Dieser Auffassung haben sich mit unterschiedlicher Gewichtung zuletzt das LSG Baden-Württemberg und die Sozialgerichte in Karlsruhe und Berlin angeschlossen. Die Richter des SG Berlin (AZ: S 208 KR 2118/12) werteten etwa als Indiz für ein vorliegendes Unternehmerrisiko des freiberuflich Tätigen die eigene Berufshaftpflichtversicherung und das Risiko, keine Aufträge von Praxisinhabern mehr zu erhalten.

Wie sollten Praxisinhaber nun reagieren?

Momentan ist schwer abzuschätzen, welchen Weg die DRV Bund einschlagen wird. Die verständliche Verunsicherung von Praxisinhabern, die mit freien Mitarbeitern ohne rechtsverbindlich festgestellten Status zusammenarbeiten, lässt sich daher nicht beseitigen. Dennoch gilt: Die freie Mitarbeit in Physiotherapiepraxen ist bisher keineswegs abgeschafft. Der Grundsatz, dass den Rentenversicherungsträgern die volle Beweislast dafür obliegt, dass der geprüfte Mitarbeiter seine Tätigkeit in nicht selbstständiger Weise ausübt, gilt nach wie vor. Pauschale Ratschläge für Praxisinhaber fallen an dieser Stelle aber schwer. Die Materie ist so komplex, dass wir zu einer individuellen Rechtsberatung z. B. mit unserer Rechtsabteilung raten.

Allein die Praxisinhaber, die von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, die Zusammenarbeit mit dem freien Mitarbeiter im Statusfeststellungsverfahren bei der DRV Bund abzusichern und denen eine rechtsverbindliche Bestätigung des Selbstständigen-Status vorliegt, können die weitere Entwicklung beruhigt verfolgen. Praxisinhabern, die trotz der aktuellen Situation, die Zusammenarbeit mit einem freien Mitarbeiter planen, ist die Durchführung des Statusfeststellungs-verfahrens dringend anzuraten. Nur so können sie das wirtschaftliche Risiko im Vorfeld ausschließen.

Wichtig: Die in einem erfolgreich durchgeführten Statusfeststellungsverfahren erlangte Anerkennung der Selbstständigkeit, entfaltet nur Rechtswirkung für die jeweils geprüfte Tätigkeit in der jeweils benannten Praxis. Will der freie Mitarbeiter in einer anderen Praxis ebenfalls tätig sein, muss hier ein neues eigenständiges Statusfeststellungsverfahren durchgeführt werden.

Tipp: Die notwendigen Formulare für das Statusfeststellungsverfahren können bei der DRV Bund entweder kostenlos telefonisch unter 0800 1000 48070, per Mail unter drv@drv-bund.de angefordert werden oder stehen auch per Download auf den Internetseiten der DRV Bund unter www.deutsche-rentenversichrung-bund.de zur Verfügung. Natürlich leistet auch hier unsere Rechtsabteilung notwendige Hilfestellungen.

Arbeitet man mit mehreren freien Mitarbeitern zusammen, sollte außerdem ständig über Strategien der Risikominimierung nachgedacht werden. In Frage käme dabei zum Beispiel die Umwandlung der selbständigen Mitarbeit in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis oder die Trennung von freien Mitarbeitern bzw. zumindest von denjenigen, für die die Statusfrage am unsichersten scheint. Im Einzelfall kann auch die Aufnahme des Freien Mitarbeiters als Partner bzw. Gesellschafter der Praxis eine Lösung darstellen. Will man als Praxisinhaber aber trotz Allem auch weiterhin auf die Zusammenarbeit mit seinem freien Mitarbeitern in gewohnten Art und Weise nicht verzichten, sollten vorsorglich die tatsächliche Gestaltung der Zusammenarbeit sowie die zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarungen nochmals einer genauen Prüfung unterzogen werden. Dadurch wird zumindest die Chance erhöht, bei einer Betriebsprüfung, die in der Regel im Intervall von vier Jahren stattfindet, den Vorwurf der Scheinselbstständigkeit zu umgehen.

Tipp: Mitglieder des IFK können als Hilfestellung dafür auf das entsprechende Merkblatt P 19 im Mitgliederservice des IFK zurückgreifen. Insbesondere der dort enthaltene Abgrenzungskatalog gibt konkrete Handlungshilfen, wie der Praxisalltag mit einem freien Mitarbeiter gestaltet werden könnte. Auch hier gilt das ergänzende Beratungsangebot durch unsere Juristinnen.

Fazit

Der Beschluss des LSG Bayern hat viele Praxisinhaber zutiefst verunsichert. Obwohl die Rechtsunsicherheit bei der Frage der Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit auf diesem Sektor schon seit Jahren existiert, scheint deren Brisanz erst jetzt in den Fokus vieler Praxisinhaber geraten zu sein. Die Sozialgerichte in Deutschland entscheiden derzeit uneinheitlich über die Beschäftigung von freien Mitarbeitern. Nicht zu leugnen ist aber, dass die DRV Bund vermehrt und gezielt sowohl im Rahmen von Statusfeststellungsverfahren als auch von Betriebsprüfungen die selbstständige Tätigkeit von freien Mitarbeitern in Frage stellt und immer öfter eine Scheinselbstständigkeit unterstellt. Dies hätte weitreichende Folgen. Einerseits müssten Praxisinhaber, die schon seit längerem mit freien Mitarbeitern zusammenarbeiten, mit teils existenzbedrohenden Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen rechnen. Anderseits würde sich das regional bereits bestehende Problem des Fachkräftemangels der Branche noch weiter verschärfen. Praxisschließungen wären nicht auszuschließen. Aus Sicht des IFK müssen freie Mitarbeiter als potenzieller Bestandteil einer Physiotherapie-Praxis weiterhin zum Einsatz kommen dürfen. Der IFK wird daher alle verfügbaren Kontakte nutzen, um der bedrohlichen Entwicklung entgegenzuwirken und die unsichere Rechtslage im Sinne der selbstständigen Physiotherapeuten zu klären. In einem ersten Schritt haben wir als Mitglied des Bundesverbandes freier Berufe (BFB) diesen gebeten, bei den zuständigen Bundesministerien deutlich zu machen, welche Auswirkungen auf die Versorgungssituation die restriktive Auslegung der Statusfeststellung haben kann. Zudem stehen wir in engem Kontakt mit anderen Berufsgruppen, die ebenfalls von diesem Problem betroffen sind, um auf die Problemlagen aufmerksam zu machen. Über die weitere Entwicklung zu diesem Thema wird der IFK seine Mitglieder daher zeitnah informieren.

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