Im Einsatz für die Nationalmannschaft

Wenn die deutsche Nationalelf heute Abend gegen die USA aufläuft, haben vier Physiotherapeuten schon die ganze Zeit durchgeackert: Mit Christian Müller, Christian Huhn, Wolfgang Bunz und Klaus Eder arbeiten seit vielen Jahren vier Physiotherapeuten im Hintergrund der DFB-Mannschaft, haben aber eine enorme Bedeutung für die Fitness der Spieler. Der Chef-Physiotherapeut der deutschen Fußballnationalmannschaft und IFK-Mitglied Klaus Eder erklärt im Interview mit IFK-Vorsitzenden Ute Repschläger, wie er und sein Team die Nationalelf fit hält, warum eine Befundposition und eine fundierte Aus- und Fortbildung für die Physiotherapie unerlässlich sind und was man als Physiotherapeut vom Spitzensport lernen kann. Eine exklusive Vorab-Veröffentlichung aus der neusten Ausgabe des IFK Magazins "physiotherapie".

Wie arbeiten die Physiotherapeuten bei der Nationalmannschaft?Eder: So ein Arbeitstag dauert für uns vor und während des Turniers von morgens früh um acht bis nachts um elf. Mit vier Physiotherapeuten sind wir hier sehr gut aufgestellt. Grundsätzlich haben wir alle dieselbe Ausbildung: Manuelle Therapie und Sportphysiotherapie sind am wichtigsten. Jeder, der eine Nationalmannschaft betreut oder einen A-Mannschafts-Kader, muss Sportphysiotherapeut sein und braucht eine Lizenz vom DOSB [Deutscher Olympischer Sportbund], sonst erhält man sozusagen gar keinen Zugang zur Mannschaft. Besser ist es natürlich immer, wenn man alle Fortbildungen hat, wie Manuelle Therapie und Osteopathie. Die Manuelle Therapie bleibt aber stets das Nonplusultra in der Sportbetreuung.
Dabei ist nach dem Spiel vor dem Spiel...
Eder: Ganz genau. Wir schauen natürlich nach einem Spiel, welche Belastungsreaktionen aufgetreten sind: Ist das Knie zum Beispiel besonders warm geworden oder stimmt die Beckenbeinachse nicht mehr... wir lassen hier nichts aufkommen. Sprechen wir von verletzten Strukturen, können wir aber auch nicht ständig manipulieren, weil verletzte Strukturen auch Ruhe benötigen. Man kann aber die Wege öffnen, die das Gelenk versorgen, um es zu revitalisieren – also die vaskuläre Versorgung. So behandeln wir die verletzte Stelle zum Beispiel nur einmal am Tag und lassen dann 24 Stunden Pause dazwischen.

Von links: DFB-Physiotherapeut Christian Müller, IFK-Geschäftsführer Dr. Frank Dudda, IFK-Mitglied und Physiotherapeut der Nationalmannschaft Klaus Eder, IFK-Vorsitzende Ute Repschläger, DFB-Physiotherapeut und IFK-Mitglied Wolfgang Bunz

Welche Rolle spielt bei der Behandlung das Thema Biomechanik?
Eder: Im Hochleistungssport ist die angewandte Biomechanik von enormer Bedeutung. Wie funktioniert ein Gelenk? Wie ist das Zusammenspiel zwischen Gelenkbändern und Muskulatur? Und natürlich geht es auch um die neurale Steuerung der Nerven. Biomechanik bedeutet für uns, dass ich wissen muss, wie funktioniert der Fuß beim Gehen und Laufen, wie funktionieren die Hüften, das Iliosakralgelenk, die Lendenwirbelsäule ... gerade beim Fußball wirken enorme Kräfte auf die Körper ein – damit einher gehen hohe Anforderungen an uns Physiotherapeuten. Wenn man sich vorstellt: Der Fuß besteht aus 26 Knochen und alle diese sind mit Muskeln und Bändern verbunden. Wenn etwas davon nicht richtig steht, dann trifft ein Spieler aus drei Metern Entfernung kein Hochhaus. Zu unserer Hauptaufgabe zählt, dass wir sicher stellen, dass alle Gelenke am geometrischen Mittelpunkt sitzen. So ein Körper ist wie ein Orchester, wir müssen zusehen, dass keine Geige zu laut spielt und keine zu leise. Jede Seite muss den optimalen Klang haben, wenn man sie anzupft.
Wie behält man angesichts des Drucks noch die Ruhe?
Eder: Wir sind alle schon jahrelang dabei. Ich persönlich bin seit 26 Jahren beim DFB. Die Kooperationen mit den Ärzten rund um Dr. Schmitt und Dr. Müller-Wohlfahrt funktioniert ausgezeichnet, ebenso mit unserem Internisten Prof. Dr. Meyer. In Folge dessen haben wir in puncto Medizin und Physiotherapie hier optimale Bedingungen, um die uns viele andere Teams beneiden. Dieses jahrelange Zusammenspiel bringt uns auch die nötige Ruhe und Routine.
 
Gehört zu dieser Routine auch eine ordentliche Befundung? Der IFK hat dazu jüngst den Einstieg in die Befundposition geschafft mit einem Pilotprojekt mit der IKK Berlin-Brandenburg.
Eder: Absolut. Es ist unerlässlich, dass man zunächst ausführlich prüft: Wie stehen die Gelenke zueinander, sind sie am geometrischen Mittelpunkt oder sind sie dezentriert? Unsere Strategie liegt immer darin, das Gelenk wieder zu re-positionieren. Heute wissen wir aber natürlich, dass dies alleine nicht ausreicht. Es gehört die Muskulatur dazu, die das Gelenk umgreift. Wenn ich das Gelenk nur in die richtige Position bringe, wäre das, als wenn ich einen Wetterhahn gegen die Windrichtung drehe und den Wind vergesse. Sobald der Wind weht, kehrt der Wetterhahn wieder in seine ursprüngliche Position zurück. So ist das auch mit dem Gelenk und dem Einfluss der Muskulatur. Die Befundung klärt: Was ist meine Behandlungsstrategie? Worin liegt die Ursache der Fehlfunktion? Ist es das Gelenk, sind es die Bänder, ist es die Gelenkkapsel, sind es die Sehnen, die Muskeln, die Nerven oder die versorgenden Blutgefäße. Nur wenn ich einen ordentlichen Befund habe, kann ich auch eine gute Behandlungsstrategie entwickeln. Und dafür brauchen wir Zeit. Wenn wir heute untersuchen, dann ist schnell eine halbe Stunde vorbei.

Von links: IFK-Geschäftsführer Dr. Frank Dudda, IFK-Mitglied und Physiotherapeut der Nationalmannschaft Klaus Eder, IFK-Vorsitzende Ute Repschläger, DFB-Physiotherapeut Christian Huhn
Was kann ein normaler Physiotherapeut aus dem Hochleistungssport-Bereich noch lernen?
Eder: Ohne absolutes Wissen der Anatomie und der Biomechanik kommt man nicht schnell voran. Das ist für uns auf dem Fußballfeld besonders wichtig, weil wir hier manchmal sekundenschnelle Entscheidungen treffen müssen. Und dann wundert man sich zum Beispiel als Zuschauer zu Hause: Warum geht das da so schnell, wie können die Spieler so schnell wieder fit werden? Grundsätzlich kann ich für jeden Physiotherapeuten sagen: Ohne eine ausführliche Aus- und Fortbildung geht es nicht. Das gilt natürlich auch für mein Behandlungszentrum, so dass dort jeder eine so sorgfältige Behandlung erfährt wie ein Mario Götze oder Marco Reus. Gerne verweise ich auch auf den ganzheitlichen Ansatz: Am Beispiel Fußball sehen wir, dass ein Spieler natürlich nicht nur mit seinem Knie alleine spielt, sondern der gesamte Körper funktionieren muss. Die Einflüsse von der Zentralmotorik über das periphere Nervensystem bis hin zu mechanischen Einflüssen müssen alle abgeklopft werden.
Wie wichtige ist dabei die Erfahrung für einen Physiotherapeuten?
Eder: Ich vergleiche das immer gerne mit einem Sommelier, der seinen Gaumen so trainieren muss, aus welchem Land ein Wein kommt, welchen Jahrgang er hat und um welche Traubensorte es sich handelt. So müssen auch Physiotherapeuten ihre Hände schulen, um einzelne Strukturen differenzieren zu können.

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